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Unbeugsame Opposition

Alexander Sawizki/Jeanette Seiffert11. Dezember 2013

Die Proteste im Zentrum von Kiew dauern schon seit Wochen an. Die Zivilgesellschaft begehrt gegen den russlandfreundlichen Kurs der Regierung auf - und will sich nicht einschüchtern lassen.

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Proteste der ukrainischen Opposition für Annäherung an die EU. Foto: GENYA SAVILOV/AFP/Getty Images
Bild: Getty Images/Afp/Genya Savilov

"Wie lange die Straßenproteste in Kiew andauern werden, hängt allein von der Staatsmacht ab": Das prophezeite der Abgeordnete der oppositionellen Partei "Ukrainische demokratische Allianz für Reformen" (UDAR), Rostyslaw Pawlenko, im Gespräch mit der Deutschen Welle bereits Anfang Dezember.

Und tatsächlich sind bislang die ukrainischen Sicherheitskräfte mit allen Versuchen gescheitert, die Massenproteste zu zerschlagen. Bei eisiger Kälte harren Demonstranten zum Teil schon mehrere Tage am Stück auf dem "Maidan" aus, dem zentralen Platz der Unabhängigkeit im Zentrum der Hauptstadt. Sie singen Lieder, sprechen gemeinsame Gebete, errichten Barrikaden aus Holz. Weder nächtliche Polizeieinsätze noch Verhaftungen und Drohungen konnten sie bisher vertreiben. Sollte Präsident Viktor Janukowitsch darauf spekuliert haben, die Demonstranten mit Spezialeinheiten einschüchtern zu können, hat er sich offenbar verschätzt: "Hier wird das Schicksal des Landes entschieden", rief Arseni Jazenjuk von der Partei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko der versammelten Menge am Mittwoch (11.12.2013) zu.

Orientierung gen Westen

Was Ende November mit Protesten gegen das gescheiterte Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU begann, ist mittlerweile zu einer Massenbewegung gegen die Regierung von Premierminister Mykola Asarow angewachsen. Die Regierung hatte dem Druck Russlands nachgegeben und damit eine Chance vertan hat, das Land Richtung Westen zu führen. Die Enttäuschung vieler Ukrainer darüber ist groß - und schlägt mehr und mehr in Wut gegen die gesamte Führungsspitze um.

Demonstranten besetzen das Kiewer Bürgermeisteramt. Foto: ROMAN PILIPEY/epa
Eiskalte Dusche für Einsatzkräfte: Demonstranten besetzen das Kiewer BürgermeisteramtBild: picture-alliance/dpa

Das Scheitern des Abkommens mit der EU sei aber nur die Initialzündung für die Proteste gewesen, meint Cornelius Ochmann, geschäftsführender Vorstand der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit: "Die Zivilgesellschaft in der Ukraine ist meiner Meinung nach viel weiter entwickelt, als wir denken. Die Leute haben, auf Deutsch gesagt, die Nase voll vom Regierungsstil des Präsidenten, und sie nutzen jetzt die Gelegenheit, um ihre Unzufriedenheit auszudrücken."

Die Proteste im Kiewer Zentrum werden angeführt und organisiert von einem "Komitee des nationalen Widerstands": An dessen Spitze stehen die Führer der drei Oppositionsparteien: Vitali Klitschko mit seiner Partei "UDAR", Oleh Tjahnybok mit seiner "Freiheits-Partei" sowie Arsenij Jazenjuk mit der Timoschenko-Partei "Vaterland". Ferner gehören dem Komitee Vertreter mehrerer gesellschaftlicher Organisationen an.

Osteuropas Revolutionen als Vorbild

Der Abgeordnete der "'UDAR"-Partei Rostyslaw Pawlenko hofft nach wie vor, dass ein politischer Ausweg aus der Krise gefunden wird: "Wenn nicht, dann werden wir friedlich den Druck aufrechterhalten, bis die Lage auf zivilisierte Art und Weise gelöst wird." Die Opposition habe noch viele Formen des friedlichen Protests in ihrem Arsenal: insbesondere solche, die man in anderen osteuropäischen Ländern 1989 während des Sturzes der kommunistischen Regime und bei der Wiedervereinigung in Deutschland gesehen habe. "Wir haben sehr gut gelernt und werden zu diesen Protestformen greifen. Aber sie werden alle friedlich sein." Schon jetzt treten Stars wie die Sängerin Ruslana auf, die Gewinnerin des "Euovision Song Contest" von 2004. Auf großen Leinwänden werden Filme gezeigt.

Hier mache sich ein Protestpotenzial Luft , das alle Beteiligten unterschätzt hätten, sowohl in Kiew als auch in Moskau und Brüssel, meint Maria Davydchyk von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin (DGAP). "Die ukrainische Regierung hat in der östlichen Partnerschaft mit der EU nur eine Option gesehen, solange sie mit der innenpolitischen Entwicklung zusammenpasste", unterstrich sie im DW-Interview. Auf der anderen Seite habe die EU zwar viele Signale an die Ukraine gesendet, "aber keine konkreten Strategien oder Instrumente zur Lösung der realen Probleme des Landes und der Bevölkerung aufgezeigt." Die EU plädiert angesichts der angespannten Lage in der Ukraine zwar für Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition, doch bislang hat sie sich vergebens um Vermittlung bemüht.

Ex-Boxprofi und Oppostionsführer Vitali Klitschko. Foto: VASILY MAXIMOV/AFP/Getty Images)
Neue Helden: Ex-Boxprofi und Oppostionsführer Vitali KlitschkoBild: VASILY MAXIMOV/AFP/Getty Images

Schleichender Machtverlust?

Die ukrainische Opposition sei durchaus in der Lage, die Staatsmacht zu Zugeständnissen zu zwingen, glaubt der Direktor des Internationalen Instituts für Demokratie, Serhij Taran. Aus seiner Sicht würde es ausreichen, die Intensität der Proteste aufrechtzuerhalten. Dies sei einfacher als während der "Orangefarbenen Revolution" vor neun Jahren. Denn heute seien die Demonstranten viel radikaler eingestellt als damals. "Die Menschen könnten die Blockaden auch auf die Residenz des Präsidenten im Kiewer Vorort Meschyhirja ausweiten", sagte der ukrainische Experte.

Präsident Viktor Janukowitsch mit seinem russischen Amtskollegen Putin. Foto: Sergei Karpukhin/ap.
Widerstand gegen alte Seilschaften: Präsident Viktor Janukowitsch mit seinem russischen Amtskollegen PutinBild: AP

Er ist überzeugt, dass die bisherigen Proteste schon für "tektonische Verschiebungen in der ukrainischen Politik" gesorgt haben. Die Oligarchen und die Chefs der politischen Clans kämen langsam zu der Überzeugung, dass Präsident Viktor Janukowitsch an Macht verliere. Diese Entwicklung untergrabe die Regierung von innen, und dies, so Taran, könnte letztlich zu einem Machtwechsel in der Ukraine führen.